Im weissen Nachtgewande sass sie aufrecht am Lager. Des Goldhaares Heiligenschein um das bleiche Gesicht. Das Antlitz blass, glühend nur die Wangen und die visionären Augen ins Weite. Sie lebten, diese Augen – sie waren eine Welt für sich. Nur der Mund blieb streng geschlossen. Diese neidigen Lippen, die nicht heimlich erzählen wollten, was die erweiterten Pupillen erfüllte.
Ach! diese ekstatischen Augen, deren Blicke in ungeahnten Wonnen schwelgten!
Ich sah sie an. Der Mond flackerte sein fahles Schleierlicht um ihren Leib. Es umhüllte ihn, wischte ihn hinweg, so dass man kaum etwas sah, als die grossen, leuchtenden, bejahenden Augen.
Ich Arme sass daneben, doch könnt’ ich nicht dort sein, wo sie war. Dort, wo’s so schön ist. Darum leugnete ich kurz, dass es Schönheit gab.
Und doch! und doch!
Da fuhr plötzlich etwas grässliches über ihr Antlitz. Etwas, dass mir noch heute die Haare sträuben lässt: es wurde mit einem Male kalt darauf, eine Dämmerung flog darüber und die lautlose Starre der Nacht senkte sich auf dasselbe.
Langsam, von innen heraus, verglühten diese Augen und – verlöschten.
Jetzt glich sie wieder mir, Dir, uns. Aber es war traurig, von dort weg zu müssen.
Von wo?
Lass mich doch erst ausreden! Jetzt glich sie nicht mehr dem bleichen Knaben mit den verklärten Augen, der in die Zukunft träumend der Gegenwart entfloh – immer öfter, immer sehnender, bis er einst mit müden Schwingen in die Tiefe stürzte. Aber ihr kennt ihn nicht und ich selbst sah ihn nur manchmal im wachenden Traum. – – – – – – – – – – – –
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Langsam lösten sich nun ihre gehemmten Glieder, ihre Blicke legten sich wie des Säuglings Aug’ mit Staunen um die Dinge, aber noch sprach sie kein Wort.
Da rief ich ihr zu: Wo warst Du?
Meine Frage trieb ihr die Augen auseinander.
Ich?
(Und dabei irrte ein süsses Kindeslächeln um die Unschuld ihrer Lippen.)
Was sahst Du?
Ich?
Sie wusste gar nicht mehr zu sagen. Nur das Staunen ihre Züge sprach es: war ich nicht da? Und war ich wo gewesen? Und sah ich etwas dort? Ich – weiss nicht davon.
Wie die Lämmlein, die auf grünen Rasen weiden, wusste sie nicht, was gewesen. Nicht, was vergangen. Nur den Augenblick erkannte sie und lächelte ihm zu.
Sie hat nicht die Dankbarkeit von uns späten Menschen, welche den Schein von einst in ihrem Herzen tragen.
Da wurde ich traurig darüber. Denn es quälte mich mein Dunkel, die Helle ihrer Seele zu trinken.
Aber sie hatte alles vergessen. So sehr, dass sie nicht mal wusste, wie Liebes ihr entschwunden sei.
O Wehmut! dachte ich, sie ist krank. Aber wir Übrig en. sind wir denn anders? Weh! über uns arme Menschen! Vom Leid des Lebens überfliessen meine Augen.
Seht! Des Bewusstseins Sonnenleuchten überstrahlt uns nur eines Tages Hälfte und dann sinken wir in Nacht – wohin? Wann wird es endlich leuchtender Tag werden?
Auch wir wissen nicht wohin, wie die Liebe, die ich beschuldigt.
Auch wir kommen von dort zurück, ohne süsses Erinnern mitzunehmen. Mit der stumpfsinnigen Stirn des Tieres kehren wir zurück. O wann werden der Zukunft schöne Menschen kommen, denen keine Nacht mehr grausam des Bewusstseins Goldglanz überschüttet! Unserer Hoffnung herrlichsten Reichtum legen wir in das Wort »Zukunft«.
Werden wir dann wissen, wohin die Sonne geht und wir mit ihr?
Und warum, grause Notwendigkeit, die wir nicht fassen können, warum schenkst Du uns nur im Dunkel der Nacht das Glück, und lasst uns nichts Tröstendes in die Schwere des Tages hinüberretten?
Warum lässt Du die Nacht den Tag beschämen, der hell und strahlend sein will?
Tröste Dich doch mit dem schönen Schein des Traumes.
Traum! Ach! ihr Glücklichen, denen Worte auch Sinn sind! Was heisst Traum? Wo warst Du, o Mensch? In der Vergangenheit oder in der fernsten Zukunft?
All das Leben blickt uns schreckhaft an. Wir werden geboren und sind noch nicht. Unser Leib hat süsse Menschengestalt, wir thun gleich Menschen, aber sind es nicht. Noch ist’s nicht Tag in der Unterdämmerung der Gedanken.
Dann endlich löst es sich los und kommt zum Leibe, durchleuchtet ihn, wie das heilige Licht die Kapelle.
Unser Auge, das ins Sein blickte, sah noch nicht. Jetzt kommt es über uns, staunbar und schreckhaft.
Wir lachen das Leben mit zitternden Lippen an.
Und ach! unser ganzes Sein stöhnt heimlich: das Leben ist nur sterbenswert. – – – – – –
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»Bist Du fertig? Gehe, ich bitte Dich, höre auf mit dem Unsinne. Sonst wirst Du wahnsinnig. Ich meine es Dir gut. Mache Bewegung, nimm kalte Bäder und beschäftige Dich wie jeder vernünftige Mensch.«
Aber die Ekstase?
»Ist eine Krankheit.«
Aber Wissen?
»Wissen giebt die Wissenschaft.«
O nein. Du Liebe! Wissenschaft giebt Bewusstsein des Nichtwissens.
»Also was gäbe Wissen?«
Mitfuhlen, An – Sich – Erleben, In – Sich – Erleiden.
»Ich bitte Dich, beschäftige Dich doch mit Nützlichem, lasse Dich nicht von Meinungen und Launen schaukeln, sondern lege Dir Pflichten auf.«
Haha!
»Was lachst Du?«
Über das Lustige, was Du sprachst!
»Ich?«
Du sprachst von der Pflicht.
»Nun? haben wir nicht alle eine?«
Selten.
»Oho!«
Ihr habt nur überflüssige Eitelkeiten, die ihr zu kleinen Pflichten macht; liliputane Tugenden, die schmutziger sind, als anderer Laster – und – und –
»Das möchte ich wirklich hören.«
Ich habe eine Pflicht: Ich zu sein. Alle Möglichkeiten meines Seins auszuleben.
»Das sind wieder Phantastereien, aber nichts Reelles.«
Du sprichst?
»Ich liebe das Reelle.«
Haha!
»Warum lachst Du?«
Irgend jemand von uns zweien ist wahnsinnig, das fand ich lustig.
»Ich bin’s nicht!«
So sei’s ich. Du aber bleibe vernünftig, hahaha!
»Du machst mich ärgerlich, ich gehe Nützliches zu leisten.«
Ich aber fühl’ es kommen, mit Grauen und Entzücken mich durchtauen, das Bange, Unsagbare, das mich fragt: willst Du eine Minute des Schauens mit der Hälfte Deines Lebens zahlen?
Schauen!
Willst Du alle verteilte Kraft Deines Seins in eine Gewalt zusammenpressen! Verschleudern in einem Augenblicke, was Dir auf viele Jahre reichen soll – nimm! häufe Dein Können und Dein Begehren übereinander und dann blicke verschaudernd in die Abgründe des Seins, zerschellend und verglüht an der Blitzeshelle Deines Geistes.